(Kiel Schilksee, 22./26.06.2013, (Text und Bilder: Friedl Buhl)
Der Gewinner und sein Vorbild
Wie doch die Zeit vergeht! Eltern bekommen es an ihren heranwachsenden Kindern vorgeführt, Leistungssportler erkennen es am spürbar alternden Akku. Und es gibt andere Indikatoren. Philipp Buhl besiegt erstmals einen der größten Segler aller Zeiten, die Ikone des Laser-Segelns schlechthin, Robert Scheidt. Robert war neben Ben Philipps großes Seglervorbild, sein Idol, seid seiner Jugendzeit bis heute. Jetzt hat Philipp den ganz Großen besiegt – und dies in einem sehr schweren und ausgeglichenen Kampf. Deshalb höchsten Respekt vor beiden. Der Geschlagene verdient Achtung der ganz besonderen Art. Er kehrt nach Jahren aus dem ehemals olympischen Starboot zurück zu seinen Wurzel, die im Laser bewiesener Maßen noch voll im Saft stehen: Robert ist nach wie vor ein Athlet und Segler auf Weltklasse-Topniveau. Er ist nun zu einem Ausnahmesportler hoch zwei geworden. Denn ein Analagon mit solch disziplinärer und vor allem physischer Hochleistungsfähigkeit in seinem doch fortgeschrittenen Alter muss in der Seglerwelt erst noch gefunden werden.
Ein ausgeglichener Kampf!?
Die Insiderwelt schimpft seit dieser Saison auf die von der ISAF erfundenen neuen Bewertungsformate. Man sagt (vereinfacht gesagt), sie seien nicht gerecht. Man muss die Sache allerdings mehr differenzieren. Etwa so: Sie sind häufiger ungerecht. Wie in allen Lebensbereichen tut Differenzierung eben auch hier not.
Zurück zum Verlauf der Kieler Woche. Über zwölf – vorsichtshalber gesagt, neun Wettfahrten – war der Wind nur mittelmäßig. Damit waren ausgiebig gute bis ideale Bedingungen für die mehr leichtwindorientierten Segler gegeben. Nur zum Medalrace hat es mit 4 bis 5 Beaufort anständig geblasen. Das war für die Laser, deren Wind-Grenzbereich bei 6 bis 7 liegt, noch gar kein Starkwind. Die Windspezialisten hatten damit nur in einem Spiel den Eichel-Ober in ihren Karten. Buhl hat diese Chance für sein Solo cool und risikofreudig genutzt und gewonnen. Er hat nicht nur gezeigt, wie schwer er bei Wind zu schlagen ist. Er nahm auch Gold in der Gesamtwertung mit nach Hause, weil er zuvor bei den für ihn nicht optimalen Bedingungen sehr gut am Ball blieb und sich nicht unterkriegen ließ. Ein Allrounder in seiner Disziplin beherrscht eben die gesamte Anforderungspalette relativ gut bis sehr gut. Den Gesamtsieg hat das neue Bewertungsformat nun besser ermöglicht – in diesem Fall mehr als gerecht.
Sieg und erster Dämpfer im Qualifying
Buhl begann das Qualifying mit einer überlegenen Siegwettfahrt. In der Folge konnte er noch einen guten vierten Platz verbuchen, musste aber in der dritten Wettfahrt einen ersten belastenden zwölften Rang einstecken. Auch am zweiten Tag des Qualifyings herrschte eine instabile Wetterlage mit mittelmäßigem Wind und den gefürchteten Richtungsschwankern. Buhl hatte diese für ihn nicht optimalen Bedingungen sehr gut im Griff und segelte sich mit der zweitbesten Tagesleistung (5., 4. und 3.) ins rote Shirt des Drittplazierten. Scheidt musste mit einem neunten Rang erstmals einen mittelmäßigen Ausrutscher verkraften, führte aber dennoch das Zwischenklassement weiterhin an.
Unkalkulierbare und gefürchtete Windrichtungsschwanker
Am ersten Tag der Finalserie (Wettfahrten 7 bis 9) rutschte Buhl von Position drei auf vier zurück. Hauptkonkurrent Scheidt blieb in Führung.
Am Tag vor dem Finale kam es für die vordere Gruppe insbesondere darauf an, im Medalrace-Limit (Pos. 6) zu verbleiben oder es noch zu erreichen. Buhl konnte mit einer sehr guten stabilen Tagesleistung das rote Shirt vom Australier James Ashley Brunning zurückerobern.
Während der zweiten Wettfahrt wurden zunächst Buhl und auf der letzten Kreuz Scheidt von einem Winddreher nach hinten geworfen. Buhl konnte vom 22. auf den 5. gutmachen. Scheidt wurde auf seiner eiligen Vorwind-Aufholfahrt auch noch von der Jury mit der Gelben Flagge (720°-Kringel) wegen unerlaubter Vortriebsmaßmaßnahmen bestraft. Im Ziel war er 19 und verlor prompt die Führung an Stalheim. Eine verrückte Wettfahrt, gegen dessen Positionenwirbel es keine wirklichen und verlässlichen Absicherungen gibt.
Das spannende Finale, ein Duell der ganz besonderen, seltenen Art
Für das Finale wurden nach einem wiederum neuen Bewertungs-Testformat alle 12 vorangegangenen Wettfahrten zu nur einem Ergebnis zusammengefasst. Deshalb lag Buhl zwei Punkte hinter dem führenden Stalheim und einen Punkt hinter Scheidt. Die weiteren Vorplatzierungen: Brunning (4., Australien), Karl-Martin Rammo (5., Estland) und Bruno Fontes (6., Brasilien). Buhl musste also das Medalrace gewinnen, wollte er auch Sieger über die Gesamtwertung werden.
Der kräftige und in den Böen ansatzweise starke Wind kam Buhl erstmals voll entgegen. Und er nutzte seine Chance.
An der ersten Luvmarke rundet der Titelverteidiger noch als Zweiter, segelt aber bereits auf der Vorwindstrecke knapp in die Führung. Scheidt ist Fünfter – nicht weit zurück. Nun setzt Buhl auf seine ausgefeilte Windtechnik, seine Kraft und Hängeausdauer, aber auch auf sein taktisch-strategisches Wind- und Revier-Gefühl. Er fährt nämlich entschlossen und risikovoll weit über die rechte Seite. Scheidt vertraut und folgt Buhl und sucht mit ihm ggf. den Zweikampf. Zu Nahkämpfen kam es nicht. Es gab keine Notwendigkeit. Denn der Weltklassesegler Scheidt musste zur Kenntnis nehmen, dass er bei diesen Bedingungen gegen einen deutlich jüngeren und voll im Saft stehenden Athleten zumindest auf dem Kreuzkurs keine wirkliche Chance hat. 10 Sekunden war der Sonthofener als Führender vor dem Brasilianer an der zweiten Luvmarke und das Restfeld noch weiter zurück.
Und Buhl lässt sich auch auf dem folgenden und letzten Vorwindkurs seinen Strecken-Vorsprung von rund 70 m nicht im geringsten antasten. Auch nicht von Scheidt, obwohl sein Name schon vor vielen Jahre und bis heute als Innbegriff für höchst ausgeklügelte und sehr schnelle Vorwindtechnik stand.
Schließlich gewinnt Buhl in Wiederholung zu 2012 das Medalrace und die Gesamtwertung der Kieler Woche im Laser – damals gegen seinen Olympia-Rivalen Simon Grotelüschen, nun gegen die Laser-Legende und Buhls Vorbild Robert Scheidt. Bronze ging mit Stalheim nach Schweden.
Buhl schreibt im Zusammenhang mit der Kieler Woche eine Erfolgsgeschichte, die bis dato kein Deutscher im olympischen Laser vorweisen kann. Entsprechend groß dürfte seine innere Freude sein. Im Ziel bringt er sein Glücks- und Zufriedenheitsgefühl nur sehr dezent zum Ausdruck. Warum? Spielen hierbei vielleicht gemischte Gefühle eine Rolle, neben der großen Freude auch eine Spur Trauer seitens Philipp, dass er ausgerechnet sein großes Idol von früher nach seiner Rückkehr in den Laser heute erstmals besiegte?
So vergeht die Zeit!
(Bild: Petra Homeyer)
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