COVID-19, ein weltweit verbreiteter Winzling kratzt, regelt und biegt an fast Allem. Nicht wenig schmerzlich betroffen ist seit einem halben Jahr auch die Sportwelt, insbesondere im Leistungsbereich. Denn hier ist für die Athleten der Sport eben Beruf. Und seit März läuft bis heute und wohl für noch ungewisse Zeit nichts mehr normal ab. Mit Blick auf die Olympiasegler in der Laser-Klasse war es im Februar vor Melbourne die Weltmeisterschaft, die als letztes Event noch ungestört und klassisch durchgeführt werden konnte.
Ausgerechnet bei diesem Regatta-Highlight gelang es Philipp Buhl, die Ü-Tüpfchen auf seine bisherige Sportkarriere zu setzen. Der Sonthofer hatte in souveränem Wettkampfverlauf den WM-Titel gewonnen. Ein wahrlicher Triumph und gleichsam historischer Erfolg! Nicht nur für Philipp selbst, sondern auch für Deutschlands Segelsport, von seinem Immenstädter Alpsee-Segelclub (SCAI) ganz zu schweigen. Der realisierte wohl nicht so recht, was an Einmaligem auch für ihn geschah.
Für den neuen Weltmeister hätte das Begleichen einer seiner bedeutsamsten noch offenen Rechnungen nicht schöner und rechtzeitiger kommen können. „Es ist einfach wunderbar, nun die WM gewonnen zu haben. Dies verstärkt und vertieft den Sinn meiner Karriere.“ So empfindet es der Allgäuer während der turbulenten von Corona durchsetzten Zeit. Und er ist der Meinung: „Es hätte durchaus auch schon früher gelingen können. Aber es ist mehr als okay und wirklich sehr schön, wie es sich jetzt ereignet hat.“
Corona Shut-Down kann auch bereichern
Die Pandemie hatte ab März / April nach und nach die Trainungs- und Regattapläne ausgehebelt. Als später das IOC auch noch das größte Sportfest, die Olympischen Spiele, auf nächstes Jahr verschoben hatte, änderte Philipp sein zunächst Nahziel-orientiertes intensives Home-Training grundlegend. Man könne die strenge Trainingsdisziplin und hohe Motivation nicht über zu lange wettkampffreie Zeiten aufrecht erhalten, so Philipp. Und schließlich belasten die sportlichen Aktivitäten auf dem hohen Level auch den Körper und die Gesundheit, das grundlegende und wichtigste Kapital eines Berufssportlers.
In der Zeit ab April bescherten die Corona-Turbulenzen dem Weltklasse-Segler einen gewissen persönlichen Shutdown und somit angenehme Freiräume für die allgemeinen Lebensabläufe. Für interessante und aufgeschobene Dinge, für die sonst einfach nie Zeit verfügbar war: Abstand gewinnen und reflektieren, handwerklich arbeiten und planen für zu Hause und die Oberallgäuer Heimat im Zuge von Rad- und Berg-(Trainings-)Touren genießen.
Spass mit mehr Zeit für die Motte
Die Segelei kam bei Philipp dennoch nicht zu kurz. Neben insgesamt „nur“ sechs Trainingswochen in Kiel und Oslo blieb auch noch Zeit für sein Formel 1-Boot: Motte reparieren, umbauen und technisch verbessern, und bei zwischendurch gutem Alpsee-Westwind foilend umherflitzen. Der Motten-Spaß und auf diese Weise mit umgesetzt ein allgemeines Athleten- und Seglertraining (letztlich auch für das olympische Gerät Laser) fanden vorerst im Juli vor Campione auf dem Gardasee einen Höhepunkt. Der Motten-begeisterte Laser-Champion dominierte dort über sechs Wettfahrten (Plätze 3 x 2. und 3 x 1.) die Moth-Regatta Univela Sailing vor den italienischen Moth-Seglern Carlo de Paoli (2.) und Ruggero Tita (3.).
In der ... ...Motte mit Fullspeed... ...vor Campione über dem Gardasee geflogen.
Medieninteresse
Mehr Zeit nehmen konnte sich Philipp auch für die Medien. Und für sie gab es Anlass genug, seinen großartigen WM-Erfolg darzustellen und Fragen zum aktuellen Geschehen und der weiteren Planung zu stellen. Näheres dazu in den nachfolgend verlinkten und sehenswerten Sendungen:
Und nun die Kieler Woche
Vorspann: Randbeobachtungen und etwas Historie
Beachtung verdienen zunächst die Organisatoren der Kieler Woche (KiWo) und wohl auch die Schleswig-Holsteinische Landesregierung für das Ja zur KiWo. Das Regatta-Großevent wurde um über zwei Monate verschoben, und es wird nun im Zeitraum 05./13.09. ausgetragen. Die Laser und weiteren olympischen Klassen kämpfen ab Do.10.09. bis So.13.09.
Für Philipp heißt es nun, in Kiel mit dem Laser anzutreten und schließlich hier seine aktuelle Performance zu prüfen. Geplant hatte er ansonsten die Teilnahme bei der, zwischenzeitlich allerdings wegen Corona abgesagten, Moth-WM in England. Das Männer-Teilnehmerfeld der Laser-Klasse ist mit 105 Booten aus 27 Nationen gut und stark besetzt.
Aus deutscher Sicht
Selbstverständlich ist auch Philipps Kaderkollege und Trainingspartner Nik Willim am Start, neben acht weiteren deutschen Nachwuchsseglern. Darunter auch Philipps Clubkamerad Julian Hoffmann vom Alpsee bzw. Segelclub Alpsee Immenstadt. Der 17-jährige ist zwischenzeitlich in den Erwachsenen-Laser (Standard) umgestiegen und zählt zu den erfolgreichsten Nachwuchssegelern. Mit seiner Teilnahme bei der KiWo verbindet sich beiläufig eine mehrfache Premiere. Zum einen startet Hoffmann erstmals bei einer namhaften Regatta bei den Erwachsenen. Und was zudem interessant erscheint: Der noch U18-Segler (U18 := Alter unter 18 Jahren) tritt zum erstmals gegen sein großes Vorbild, seinen Clubkmeraden und gleichzeitig den amtierenden Weltmeister Philipp Buhl an. Beide sind Urgewächse von einem kleinen See im allgäuer Voralpenland. Ob ihr Heimatclub, der Segelclub Alpsee-Immenstadt (SCAI), wirklich und wenigstens bis in die oberflächlichen Tiefen realisiert, was sich da an Hochkarätigem auch für seinen Namen zusammengebraut und bis in oberste Gefilde emporentwickelt hat ?
Kurzer Blick zu einst Philipps Vorbild
Die erstmalige Wettkampfbegegnung mit seinem großes Vorbild Robert Scheidt (Brasilien, bis dahin zig-facher Weltmeister und zweifacher Olympiasieger) hat bei Philipp in sehr bewusst wahrgenommener und spannender Weise stattgefunden. Es war 2013 bei der Weltcup-Regatta in Hyeres. Scheidt wurde 2., Philipp nur 17., fand trotz gutem Potential irgendwie nicht den richtigen Pfad zu mehr Erfolg. Zwei Monate später schlug Philipp sowohl in der Gesamtwertung als auch im Medalrace (jeweils 1.) sein Idol (jeweils 2.) bei der KiWo. Noch im selben Jahr krönte sich Schiedt noch einmal im Oman mit dem neunten WM-Titel. Philipp sicherte sich damals erstmals WM-Edelmetall, das bronzene.
Die Erstbegegnung mit Scheidt hätte theoretisch bereits 2007 bei der ersten KiW-Teilnahme des noch Jugendseglers vom Alpsee stattfinden können, wäre die Segler- und Laser-Legende nicht 2005 vorübergehend aus dem Laser aus- und in andere Bootsklassen umgestiegen.
Nun darf man gespannt sein, wie es dem Weltmeister und fünfmaligen KiWo-Sieger in den nächsten Tagen auf der Außen- und Innenförde vor Kiel Schilksee ergeht.
Tagesberichte / Zwischeninfos zur Kieler Woche 2020
Schlussendlich kein Grund zum Jammern
Bei recht ordentlichen Bedingungen (mittlerer Wind um 2-3 Bft, aber ziemlich drehend) konnte Philipp einen zufriedenstellenden Einstieg realisieren. Mit einem zweiten und fünften Rang liegt er in der Zwischenwertung an zweiter Stelle. Hinter dem nun führenden Italiener Giovanni Coccoluto (1. und 4.).
Sorgen bereitete dem Allgäuer zunächst das zweite Rennen auf der Startkreuz, nachdem ihn ein anhaltender Winddreher um mindestens 20 Positionen nach hinten versetzt hat. Doch es gelang ihm auf den weiteren Kursabschnitten eine beachtliche schrittweise Verbesserung bis auf Rang fünf im Ziel. „Damit war ich sehr zufrieden. Und vor allem auch über den soliden Platz in der Gesamtwertung“, resümierte der Weltmeister.
Stark gesegelt ist der Franzose Jean Baptiste Bernaz – allerdings nur bedingt. Er startete im gleichen Fleet wie Philipp und passierte in beiden Bewerben als Erster das Ziel. Doch seine Freude nach der zweiten Wettfahrt war nur von kurzer Dauer. Aufgrund eines Frühstarts war er nämlich schon von Beginn an diqualidiziert und erfuhr dies zunächst nicht.
Kraftraubender Tag - gut gesegelt und doch nicht voll zufrieden
Bei traumhaften Wetter- und Windbedingungen für Segler wohl aller Kategorien ermöglichten neben den drei planmäßigen Wettfahrten problemlos auch noch eine vierte, die vom Vortag nachzuholen war. Allerdings zehren vier ordentlich lange ungekürzte Wettfahrten doch enorm an der Ausreit-Muskulatur und der allgemeinen Ausdauer.
Für Philipp war der lange Tag bei mittleren Winden um 3 Beaufort und über insgesamt ca. 25 km wettkampfmäßiger Segelstrecke zwar kein Pappenstiel, aber auch keineswegs grenzwertig. Er liefert bei den ersten drei Wettfahrten gute Ergebnisse ab (6., 9. und 3.). Zum Abschluss des Wettkampftages leistete sich der Allgäuer mit einem 16. Rang jedoch noch einen Ausrutscher. Dieses Ergebnis konnte er vorerst als Streichresultat wegfüttern. Voll zufrieden war Philipp mit dem Verlauf des Tages nicht und meinte: „Ja es geht so. Habe einfach ein paar kleine und am Schluss einen etwas gewichtigeren Fehler gemacht.“
Sehr überzeugend und mit der Tagesbestleistung segelte dagegen der Norweger Hermann Tomasgaard mit nur zehn Punkten über die vier Wettfahrten. Er verdrängt in der Zwischenwertung Giovanni Coccoluto (Italien) von der Führung auf Position drei. An zweiter Stelle liegt Michael Beckett (England). Philipp rutscht um vier Positionen abwärts auf Rang sechs. „Sorgen muss ich mir deshalb nicht machen.“, kommentierte er dazu.
Und noch ein Augenmerk auf Nik Aaron Willim und Julian Hoffmann: Beide qualifizierten sich heute für das Goldfleet. Nik mit Gesamtrang 17 (bestes Ergebnis 5.) und Julian 36 (bestes Ergebnis 9. – sehr beachtlich für den Jungfuchs unter den Erwachsenen).
Vorgeführt, wer der Herr im Haus ist
Heute war Fullpower gefragt! Und natürlich auch sonst alles, was Spitzenleistungen erfordern. Bei einer durchgänigen Windstärke von 5 bis 6 Beaufort, etwas Sonne, viele Wolken und auch Regeneinlage über drei Wettfahrten demonstrierte der Weltmeister eindrucksvoll, wer im Goldfleet der Herr auf dem Kurs ist. Mit den Plätzen drei und sechs und einem abschließenden Wettfahrtsieg erzielte der Allgäuer das tagesbeste Gesamtergebnis. „Der sechste in der zweiten Wettfahrt hätte nicht sein müssen. Eine falsch eingeschätzte Böen-Entwicklung auf dem ersten Vorwind kosteten mich über sechs Plätze. Das war bei der starken Windsegler-Konkurrenz natürlich nicht mehr auszugleichen.“, erklärte Philipp. Die Konkurrenz unter den Windspezialisten ist beachtlich. Zu nennen sind u. a. vor allem die Segler vorderer Platzierungen: Michael Beckett und Elliot Hanson (beide England), Stefano Peschiera (Peru), Charlie Buckingham (USA), Jesper Stalheim (Schweden) und Hermann Tomasgaard (Norwegen). Und nicht zu vergessen Alessio Spadoni (Italien), der bei Philipps Siegwettfahrt am nächsten an seinen Fersen klebte. Worauf es stets auch sehr ankommt, nämlich die Konstanz, da war ihnen der bereits fünffache Kieler Woche-Sieger doch überlegen. Und genau darauf geht zurück, dass es eben nicht nur auf die Kräfte und Handwerkskünste des Pressluftsegelns ankommt, sondern im aktuellen Fall besonders auch auf strategische Einschätzungen. Diese gestalteten sich besonders auch wegen der kräftigen Windschwankungen um 10° bis zu 20° als nicht einfach und durchaus risikobeladen.
Im Zwischenklassement ist Philipp um vier Zähler vorgesprungen. Es führt Beckett vor Philipp und Hanson. Die Punktabstände im Führungstrio sind mit +4 P. bzw. +1 P. nur gering. Danach werden sie mit +9 P. relativ zum Drittplatzierten für Peschiera (4.) und Buckingham (5.) größer.
Nik Aaron Willim musste leider wegen eines Frühstarts eine Verschlechterung seiner Zwischenbilanz um 5 Positionen hinnehmen (nun 22.). Jugendsegler Julian Hoffman konnte sich mit beachtlich guten Platzierung (21., 26. Und 25.) von Rang 36 auf 31 verbessern.
Für Sonntag sind ähnliche und sogar um einen Tick noch schärfere Bedingungen (Böen bis über 30 kn (entsprechend über 7 Beaufort) prognostiziert. Ein harter und spannender Fight um den Kieler Woche- Sieg ist vorprogrammiert.
Weltmeisterlich noch einen draufgesetzt
Die Starkwind-Prognosen stimmten. Die Wettfahrtleitung setzt den Start bereits auf den außerordentlich frühen Zeitpunkt 10 Uhr an. Denn der Wind legt erfahrungsgemäß erst gegen 11 Uhr noch eine volle Schippe drauf.
Wer den Wind aus der oberen Schublade nicht wirklich mag, für den dürfte der heutige Tag noch mehr als gestern einen gewissen inneren Schrecken auslösen. Und auch die Windspezialisten wissen, dass es heute nochmals und noch mehr deftig zur Sache gehen wird. Gut, dass nur noch zwei Wettfahrten zu segeln sind, wird sich auch von denen so mancher denken.
Der Weltmeister kann sein Können wie bereits am Vortag eindrucksvoll unterstreichen. Er gewinnt die erste Wettfahrt über die ständige Führungsposition, ein sogenannter Start-Ziel-Sieg. Muss aber dennoch Vollgas geben, um gegenüber seinen nächsten Angreifern die Oberhand zu behalten. Seine gefährlichsten Konkurrenten, die beiden Engländer Michael Beckett und Elliot Hanson (am Vortag noch 1. bzw. 3.) hat der Allgäuer in dieser Wettfahrt allerdings auf die Plätze verwiesen (7. bzw. 5.). Er hat somit ab jetzt mit überschaubarem Vorsprung in die Gesamtführungs-Position gewechselt. Aber es steht noch eine Wettfahrt aus. Und der Wind hat zwischenzeitlich auf satte 6 Beaufort zugelegt. Und in den Böen auf teils über 7 Beaufort (bis zu 30…35 Knoten). Da wird es grundsätzlich kritisch und grenzwertig.
Der noch fünffache KiWo-Sieger könnte für die Abschlusswettfahrt in die Verteidigerrolle wechseln. Doch so sieht es nicht aus. Er segelt nach seinem eigenen Strategieplan, entfernt zu seinen Hauptkonkurrenten. Und das funktioniert. Philipp kann den Ablauf der Wettfahrt zuvor reproduzieren und führt das Feld bis auf den letzten von sechs Kursabschnitten erneut an. In überschaubarem Abstand hinter ihm fighten Wannes van Laer (Belgien), Jean Baptiste Bernaz (Frankreich) und Hanson.
Die Windpower legt weiter zu, Böen werden langsam bedrohlich und Kenterungen werden häufiger. Auf dem letzten Vorwindkurs pfeift der Weltmeister auf den Wettfahrtsieg und gibt der Sicherheit gegenüber der Kenterungsgefahr den Vorrang. Soeben hat eine Böe Bernaz bei seiner Halse unabwendbar ins Wasser gedrückt. Philipp lockert also etwas den Gashebel, lässt den Belgier van Laer und Engländer Hanson aufschließen, an sich vorbeiackern und begnügt sich mit dem dritten Platz. Das reicht ihm schließlich. Beckett segelt zum Abschluss sein Streichergebnis (19.).
Philipp Buhl gewinnt nun zum sechsten Male auf seinem Heimrevier die Kieler Woche. Die weiteren Podestplätze erkämpften sich Hanson (2., + 4 P.) und Beckett (3., + 8 P.).
Die weiteren Platzierungen: 4. Charlie Buckingham (USA), 5. Bernaz (Frankreich), 6. Stefano Peschiera (Peru), Alessio Spadoni (Italien), 8. van Laer (Belgien), … weitere im Goldfleet aus Deutschland: 22. Nik Aaron Willim, 29. Nico Naujock, 30. Julian Hoffmann, 38. Justin Barth und 40. Luca Mayer.
Endegebnisse nach 11 Wettfahrten